Ausstellung Heinsberg
Einladungskarte
Haut
Plastische Prozesse sind im Laufe des letzten Jahrhunderts aus dem hervorgegangen, was man bildhauerische Arbeit nannte und dieser selbst von je her eingeschrieben war. Die Herauslösung dieser Prozesse ist Verwandlung, deren Bewegung schöpferisch ist. Die Arbeiten von Birgit Werres und Frank Wurzer zeigen in dieser gemeinsamen Ausstellung eine Seite ihres schöpferischen Potentials, die nicht so sehr am Einzelnen abzulesen ist, sondern am jeweils Anderen, zu dem sie sich in Verhältnis setzen. Das gilt nicht nur im Zueinander der Arbeiten selbst, sondern im Besonderen in Bezug auf ihr Vermögen, Räume durch ihre Setzung zu verändern. Diese Veränderung geht von den Arbeiten selbst aus, indem sie die Umgebung einweichen und sich über sie ausdehnen, um ihrerseits Formungsenergie aus ihr zu lösen. Die Einladungskarte ist hier ein guter Wegweiser. Schon ihr Blick verwandelt Misthaufen, Himmel und Wiese, als gemeinsame Nenner landwirtschaftlicher Prospekte, in ein Bild, dessen Lesbarkeit das plastische Potential der Form- und Farbenergien an die Oberfläche bringt. Hier werden dann im Wahrnehmungsprozeß Trekkerspuren zu parallelen Vektoren, die abknickend Raum erschließen oder Wolken zu Valeurs, die das Plane eines Rechtecks in die Tiefe biegen. Hier werden die Grenzen des Abgebildeten zu Durchgängen, die sich zum Anderen öffnen. Das Andere ist immer das Bild, also die Wirklichkeit des Bildes. Diese entsteht aus schöpferischen Prozessen. Nur so kann sie eine andere Wirklichkeit, ihre eigene, behaupten.
Die schöpferischen Prozesse verwandeln Material, und das heißt jetzt: Substanz, Umgebung, Licht, Form, Farbe. Dieser Verwandlung haftet stets Erinnerung an; als Möglichkeit unserer Wahrnehmung, in die Prozesse einsteigen zu können. Das Erinnern als Element von schöpferischen Prozessen jedoch nimmt eine entschieden andere Richtung als etwa in der Archäologie oder der Paläonthologie, in der Ähnlichkeiten zu Wesensbestimmungen verdichtet werden, um das Bekannte im Fremden zu fixieren. Hier dagegen dient das Erinnern dem Schwung holen der Wahrnehmung, um sich aus der Ähnlichkeit zu lösen und nie zuvor Bemerktes zu erfahren. Das wird deutlicher, betrachtet man die Konstellationen: Steinvorhang (Wurzer) und über schwarzen Gummistrang aufgerollte, mattsilbrig glänzende Folie (Werres), mittels Metallhalterungen an der Wand, knapp über dem Boden, befestigt.
Alles von Vorhängen Bekannte erstarrt in der Versteinerung: das Fließen des Stoffes, sein Fallen und leichtes Schleppen über den Boden, die Dichte des Gewebes wird undurchlässiger, das Gewebe gröber und fester, der Faltenschwung zu schroffen, steilen Klüften, Falte zu Spalte. Das Schützende wandelt sich zu massiv Verbergendem, wie überhaupt alle sinnliche Erfahrung verändert wird; mit den Augen ist dies zu bemerken. An seiner Oberfläche unzählige kleine Steine, deren Härte und Regellosigkeit das Gegenteil ihrer selbst formieren. In der Tier-und Pflanzenwelt, namentlich an ihren Übergängen, nennt man dies Mimikry. Die Steine bewahren ihr Wesenhaftes und zeugen von ihrem Gegenteil, dem Weichen, Fließenden, das sie wiederum selbst einst formte.
Werres Transformationen folgen den Eigenschaften des Materials und lösen dabei plastisches Potential heraus: die Folie umwickelt das Durchgängige des Strangs, die Horizontalität und Längsausrichtung beibehaltend; die Befestigungen an der Wand heben und halten das Umwickelte. Tieferes geht damit einher: das Licht wird zur modellierenden Kraft, erzeugt auf der Oberfläche der Folie Schwerelosigkeit und Dichte, die Halterungen markieren rhythmisierende Durchbrechungen und bringen so Zeitlichkeit in die Wahrnehmung, der Raum zwischen Boden und Wand wird zu etwas anderem. Die Erinnerung an diese Wandstelle verfliegt genauso wie die an die Materialien selbst. Das Gebilde entfallet organische Qualitäten, das Mechanische ihrer Verbindung zeigt sich im Licht der Oberflächenreflexe, belebt wie gewachsene Übergänge. Organloser Körper, fließende Kräfte. Das Aufgerollte bricht immer wieder hervor, wird ähnlich dem Vorhang und wandelt sich in der partiellen Erinnerung zum Gemeinsamen des sehr Verschiedenen. Assoziationssprünge stellen sich ein: vom herabhängenden Vorhang zum aufgerollten Segel. Das ist im Übergang von Vorhang zu Segel dort sichtbar, wo dos Segel das Aufgerollte Ist, also die Zurücknahme seines Zwecks, den Wind fangend sich zu blähen und voran zu treiben – ein Erinnerungs- und Assoziationsfragment, das den sich entfaltenden Vorhang hinein nimmt. Oder der Übergang von Vorhang und Raum, den er trennt, abschließt, zweiteilt: der Spalt unten öffnet die Geschlossenheit des Vorhangs an unerwarteter Stelle, dort, wo Kontinuität sein müßte. Geht man um ihn herum, an ihm vorbei, so verändert sich in der Wahrnehmung seiner Ruckseite auch sein Wesen. Kein Stein, kein Stoff, die Transformation zur Folie oder das Blähen schwarzer Segel, die Verbindung zum aufgerollten Licht auf der Oberfläche von Werres Arbeit. Möchten wir lieber den Bereich der Bilder verlassen, so kann man nüchterner konstatieren: Hier stoßen differenzierte Raum- und Körpererfahrungen aufeinander, um Einsichten in Bereiche der Wahrnehmung zu öffnen, in denen das Phänomen der physischen und optischen Grenzen korreliert.
Die andere Konstellation: H Treckerreifen“ (Wurzer) und rotes Schlauchartiges“ (Werres).
Auch hier geht es um Verwandlungen, um Metamorphosen und Transformationen. Man kann dem auf die Spur kommen, indem man ganz langsam die Elemente buchstabiert: Erde und Kunststoff, das eine formlos und damit formbar, das andere bereits geformt und zur gewöhnlichen Gieskanne erstarrt. Die Transformation des Formbaren und Geformten in eine echte Verwandlung (Metamorphose) gelingt über eine zweifache Annäherung: das Zusammenstellen der Kannen um einen imaginären Achsenpunkt, auf den ihre Ausgießstutzen zeigen, macht sensibel für Details: Kurvaturen werden sichtbar; die Wiederholung ihrer formalen Strukturen teilt sich in der Gesamtansicht und formiert die einfache Grundfigur: den Kreis. Die Verbindung der Erde mit der neuen Kreisstruktur festigt diese; und im Verfestigen, in der allmählichen Verwandlung der formbaren Erde zu erstarrter Form, bildet sich strukturelles Profil. Wenn man so will, verkehren sich die Ebenen, nun lehnt es an der Wand, nun ist das Kreisen zur Ruhe gekommen, und Material wie Farben lassen die Assoziation des Betrachtenden ganz allmählich im Bild springen: Treckerreifen, Turbine, dabei immer die Mechanik des Drehens erhaltend, als von der Struktur generiertes Bild. Gegenüber das Andere: schwebend, schaukelnd, von der Decke herabhängend, als müsse es auch diese letzte Unbenannte der Raumkoordinaten zu Boden und Wand in den Blick holen. Wiederholtes Stauchen und Drehen der Folie formt eine strukturelle Iteration heraus, die sofort das Licht wieder hineinnimmt zu einem seltsamen Versteckspiel des Rot, welches sich in vielfachen Schattierungen herauszulösen scheint aus der Hülle, durch die es selbst erst ist. Wie der Kokon eines seltsamen Tieres – von Leben bewohnt, daß den Blicken verhüllt ist- hat hier das Organische, noch den Luftzug aufnehmend und pendelnd (ganz unmerklich fast), an der Tonalitätsverschiebung der Farbe teil. Beide Arbeiten zeigen Annäherungen an jene Grenzen, an denen sich Organisches und Anorganisches berühren und an denen sie beginnen, Übergänge auszubilden. Diese Übergänge sind auch solche in die Wirklichkeit des Bildes. Denn nur hier scheint es sinnvoll, von Annäherung und synoptischen Übersprüngen zu sprechen, die den einen mit dem anderen Bereich vermitteln. Denn die Ununterscheidbarkeit dieser ursprünglichen Unterscheidung führt geradewegs in das Wesen dieser Kunstwerke oder aller Metamorphosen. Worin dies liegt, kann an Wurzers Zaun abgelesen werden. Der normale Jägerzaun ist das vorgefundenes Material, ist Segment, das in Bewegung gebracht wird. Es handelt sich auch hier um eine Bewegung der komplexen Art: die Faltung. Die Mechanik der Einfaltung erzeugt eine Potenzierung der Komplexität der Struktur. Das sind die Bewegungen der Einfaltung: von der Linearität der zweidimensionalen Grenze, die der Zaun nun einmal im Gartenkontext ist – Grenze, die sein Terrain zu erkennen gibt und es von anderen künstlichen Terrains, von an deren Gärten oder Parkplätzen abschirmt – zum dreidimensionalen Körpergitter, von der Horizontalen in die Senkrechte gedreht. Die Verwandlung erzeugt optische Übergänge, die aus Ähnlichkeiten bestehen: Säulen, Knoten, iterative Muster, die nicht wirklich mechanisch verbunden sind oder gesetzt wurden. Diese Verwandlungsarbeit kann ihre Gestalt verändern, ihr Wesen ist Übergang von Scharnier und Addition, Ein und Ausfaltungen. In der Erinnerung des Betrachtenden ergeben sich hier wieder Bezüge zu Werres roter, organischer Faltung. Und das Unterscheidende beider wird deutlicher: in Werres Arbeit ist das Mechanische der Faltung schon ganz aufgelöst in der starken Ausbreitung des Gewachsenen, des organischen Verschmelzens von Faltung und Lichtreflex, die in der Auflösung der Folie diese kokonartige Gestalt herausbilden und die selbst bis in die Oberfläche ihrer „Haut“ von der Lebendigkeit der Farbe durchzogen ist. ,.Haut“ könnte man auch das nennen, was aus dem plastischen Prozess entstehend jene Schnittstelle ausbildet, an der Betrachtender und Betrachtetes sich aufs Äußerste annähern und Wahrnehmung entsteht.
-Thomas Lange